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Circular Economy im Unternehmen: Interview mit Dr. Manuel Braun

Veröffentlicht am 19. Juni 20256 min Lesezeit
Interview mit Dr. Manuel Braun

Interview mit Dr. Manuel Braun

Dr. Manuel Braun ist Autor des Buchs The Circular Business Revolution und Experte im Bereich Kreislaufwirtschaft. Nach seiner Zeit bei McKinsey hat er in den letzten Jahren bei Systemiq, einem globalen Think-and-Do-Tank für Nachhaltigkeit, das Geschäftsfeld Kreislaufwirtschaft als Senior Director geführt. Er lehrt außerdem an der Technischen Universität München (TUM) und der IMD Lausanne. Im Gespräch mit circulee teilt er seine Erfahrungen – und erklärt, warum das Thema Circularity nicht nur Strategie, sondern auch Mindset-Sache ist.
Du hast letztes Jahr ein Buch zur Kreislaufwirtschaft veröffentlicht, "The Circular Business Revolution" – kurz: Worum geht es?
Es ist ein praktisches Handbuch, das zeigt, wie man durch das Thema Kreislaufwirtschaft einen strategischen Vorteil aufbauen kann – nachhaltiger agieren und vor allem auch wirtschaftlich erfolgreicher sein. Es soll Schritt für Schritt dabei helfen, eine strategische Vision zu entwickeln und diese dann in einen konkreten Geschäftsmodellvorteil zu übersetzen. Es ist ein Leitfaden für jede Managerin und jeden Manager, wie man das aktuelle Geschäftsmodell erfolgreicher machen oder mit der Circular-Economy-Perspektive neue Geschäftschancen identifizieren kann. Konkret werden fünf Geschäftsmodell-Archtypen und 15-muster vorgestellt und über 100 Fallbeispiele diskutiert. Verschiedene Arbeitsblätter helfen dabei, eine Roadmap zu entwickeln. Mittlerweile gibt es auch eine ergänzende App, den Circular Readiness Scan, den jede:r frei nutzen kann, um die Erfolgsfaktoren für die Unternehmenstransformation hin zur Kreislaufwirtschaft besser zu verstehen und für sich zu testen.
"The Circular Business Revolution" ©imd.org
"The Circular Business Revolution" ©imd.org
Was hat Dich persönlich dazu angetrieben, dieses Buch zu schreiben?
Die Kreislaufwirtschaft ist ein zentraler Hebel, um den globalen Ressourcenhunger in den Griff zu bekommen und dadurch Klimaschutz voranzutreiben, Verschmutzung zu stoppen und Biodiversität zu verbessern. Wir brauchen ein zirkuläres und vor allem regeneratives gesellschaftliches Modell und Wirtschaftssystem. Es treibt mich an, hier einen Beitrag zu leisten. Meine Co-Autorin Julia Binder (Professorin an der Uni IMD) und ich haben in den letzten Jahren mit vielen Menschen und Unternehmen zum Thema Kreislaufwirtschaft gearbeitet. Unsere Beobachtungen wollten wir in einem praktischen, akademisch fundierten Leitfaden zusammenfassen. Unsere gemeinsame Motivation ist es auch, ein Ökosystem aufzubauen. Wir sehen viele Möglichkeiten, über das Thema Executive Education den Wandel und die Transformation voranzutreiben. Daher gibt es mittlerweile auch einen Kurs an der IMD: „Creating Value in the Circular Economy“. Wir haben Partnerschaften mit beeindruckenden Circular-Economy-Netzwerken wie der Ellen MacArthur Foundation oder CIRCULAR REPUBLIC und integrieren unsere Inhalte in verschiedenste Formate.
Ein Jahr nach der Veröffentlichung hat sich die Welt weitergedreht: Welche Entwicklungen im Markt geben Dir Hoffnung, was stimmt Dich negativ?
Drei wichtige Punkte: Erstens, Politik und Wirtschaft verstehen Kreislaufwirtschaft zunehmend als echten strategischen Hebel, um Ressourcenverfügbarkeit, Lieferkettenresilienz und wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen. Geopolitische Herausforderungen und Ressourcenengpässe haben höchste Priorität, vor allem in Europa. Kreislaufwirtschaft ist kein „nice-to-have“. Zweitens, es entsteht eine echte Bewegung. Wir sehen immer mehr lokale Netzwerke und Initiativen. Es gibt zunehmend Allianzen und Kooperationen, die das Thema gemeinschaftlich vorantreiben wollen. Drittens, der technologische Fortschritt hilft: Transparenz entlang von Lieferketten und digitale Produktpässe entwickeln sich rasant. Digitale Prozessautomatisierung oder KI-optimierte Produktnutzung und Wiederaufbereitung schreiten voran. Mit dem digitalen Rückgrat werden zirkuläre Transformationen ermöglicht und beschleunigt. Aber klar, man muss Realist sein. Was mich negativ stimmt: der sich ausweitende Überkonsum an Produkten und Services – Ressourcenverbrauch und CO₂-Emissionen steigen weiter. Rückschritt bei der Regulatorik – es braucht zwar dringend eine Entbürokratisierung, aber dennoch reduzieren einige Entwicklungen (Anpassungen der CSRD oder CSDD) den Handlungsdruck und Fortschritt.
Wenn Du nun an Deutschland denkst, wie bewertest Du die Landschaft und aktuellen Entwicklungen?
Es geht voran: Wir haben seit November 2024 eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS). Darin steht als Leitbild die Senkung des Primärrohstoffverbrauchs. Aktuell 16 Tonnen Rohstoffe pro Kopf sollen auf 6–8 Tonnen reduziert werden. Das ist gut. Wichtig ist aber nun, dass die großen Ressourcenströme von wirtschaftlichen Akteuren entsprechend optimiert werden. Hier darf es nicht nur um Recycling gehen, sondern um das gesamte Circular-Economy-Toolkit. Das heißt wiederum, dass Führungskräfte erkennen müssen, dass man über den Hebel Kreislaufwirtschaft einen strategischen Vorteil aufbauen kann – für das eigene Unternehmen und für unsere Wirtschaft. Ich hoffe, unser Buch kann hier einen kleinen Beitrag leisten. Darüber hinaus: Ich sehe sehr viel Potenzial bei unternehmerischer Innovation. Das Netzwerk Circular Republic hat eben erst die Studie „Circular Start-up Landscape“ veröffentlicht. Die Zahl der Circular-Economy-Start-ups wächst in Europa, davon sind ca. 20 % in Deutschland. Die Finanzierung für diese Start-ups ist seit 2015 kontinuierlich gewachsen – insbesondere bei Neugründungen, die zirkuläre Lösungen für kritische Rohstoffe in Bereichen wie Energie und Batterien anbieten. Kreislaufwirtschaft kann für Deutschland ein Innovationsmotor sein.
Du hast Dich auch intensiv mit der refurbished IT-Industrie beschäftigt – wie sind die Fortschritte im Vergleich zu anderen Branchen?
Nach meiner Wahrnehmung liegt die IT-Industrie noch hinter anderen Branchen zurück, gleichzeitig sehe ich gerade sehr viel Bewegung. Bei einem Großteil der Elektroaltgeräte wissen wir gar nicht, wo diese landen. Aktuelle Designentscheidungen machen ein Recycling auch oft nicht möglich. In einer aktuellen Studie (publiziert unter Leitung von Circularity e.V.) haben wir herausgefunden, dass viele Geräte (z. B. Smartphones) oft nur die Hälfte ihres Lebensdauerpotenzials genutzt werden. In der IT-Branche geht aktuell also viel Ressourcenwert verloren und Geräte haben eine niedrige Auslastung. Eine Chance für neue, zirkuläre Geschäftsmodelle.
Gab es während der Arbeit am Buch eine Erkenntnis, die Dich besonders überrascht oder geprägt hat?
Für mich wird zunehmend klarer, dass wir das Thema Circularity "erfahrbarer" machen müssen. Inspiration zum Beispiel aus der Natur (z.B. Symbiotisches Zusammenleben, Agroforst, biobasierte Materialien, etc.) oder einfach nur spannende Erfahrungen (z.B. eine Recycling-Anlage besuchen, Bräuche von Kulturen, die mit der Natur leben oder Lehren aus dem Schamanismus). Circularity braucht einen Mindset-Shift, und das passiert, so wie ich es wahrnehme, weniger über Fakten, sondern wenn man Dinge erfährt und begreift. In unserem IMD Kurs zum Buch haben wir z.B. einen Circular Cooking Workshop entworfen und bauen das als Team Event ein. Kochen, ohne etwas zu verschwenden. Klingt logisch, führt aber in der Praxis zu ziemlich vielen "Aha-Momenten". Die Reste des Einen sind die Zutaten des Anderen - zum Beispiel wird das Karottengrün für Pesto verwendet, oder aus Kartoffelschalen werden Chips gemacht, usw.
Circular Economy ist mehr als ein Nachhaltigkeitskonzept – sie ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Dr. Manuel Braun zeigt: Die größten Hebel für Unternehmen liegen nicht nur in Technologie oder Regulierung, sondern in einer veränderten Haltung. Gerade in der IT-Branche liegt enormes Potenzial, wenn Geräte länger genutzt, wiederaufbereitet und intelligenter in den Kreislauf zurückgeführt werden. Wer heute neu denkt, kann morgen erfolgreicher – und nachhaltiger – wirtschaften.
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